Kunstvolle Liebesbriefe als Zeichen der Zuneigung

Abbildung 1
Abbildung 2
Abbildung 3
Abbildung 4

 

Aufsatz von Dorothea Schneider
aus: Hunsrückmuseum, Festschrift zum 75jährigen Bestehen

Zu den Kleinodien Hunsrücker Volkskunst zählen die vier Liebesbriefe, die im Hunsrückmuseum ausgestellt werden. Es handelt sich hier um Versbriefe, die in Faltschnitttechnik angefertigt wurden.

Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts und im 19. Jahrhundert wurde der Faltschnitt in der traditionellen Volkskunst benutzt.(1) Allerdings sind nur aus dem deutschsprachigen Raum solche geschnittenen Versbriefe bekannt. Das Elsaß und die deutschsprachige Schweiz bildeten zu dieser Zeit einen Schwerpunkt bei der Herstellung von Faltbriefen. Diese Briefe dienten als Neujahrsgrüße, zur Erinnerung an die Taufe fertigte man Taufbriefe, auch „Göttelbriefe“ genannt, an. Und, wie die Beispiele im Hunsrückmuseum zeigen, setzte man sie als Liebeszeichen ein.

Meist waren es die jungen Männer, die solche Liebesbriefe an ihre Auserwählte sandten. Weniger üblich waren die Brautbriefe. Die Liebesbriefe dienten jedoch weniger einer ersten Kontaktaufnahme, vielmehr überreichte man sie in einem fortgeschrittenen Stadium der Bekanntschaft, etwa zur Verlobung. Jedoch fertigte der Sender nur in seltenen Fällen einen solchen Brief selbst an, meist wurde diese Aufgabe einem geübten Dorfkünstler übertragen, der einen gewissen Obolus dafür erhielt. Zu dem Personenkreis, der sich mit solchen Arbeiten beschäftigte, zählten Lehrer, Handwerker, Gemeindeschreiber, Bauern und auch die Pfarrer, die allerdings vorwiegend Taufbriefe verfaßten.

Die Liebesbriefe wurden meist in Kreisform geschnitten, aber auch Oktogone wurden als Umriß gewählt. Dazu faltete man zunächst das Papier. In der Literatur wird erwähnt, daß die überwiegende Zahl der Liebesbriefe viermal gefaltet wurden, Briefe mit drei oder fünf Faltungen sind weniger oft zu finden.(2) Mit der Schere bekam dann der Umriß seine Form: es wurden Zacken, Bögen oder sternförmige Verzierungen geschnitten. Das Zentrum eines solchen Briefes bildet meist ein Kreis. Daran schließen sich mit Schere oder Federmesser ausgeschnittene Ornamente, meist in Herz- oder Blumenform und geometrische Ornamente an. Auch Engel sind ein beliebtes Motiv. Auf den für einen Liebesbrief fast obligatorischen Herzen wurde dann Platz für den Text ausgespart. Mit der Lochpunze oder einer Nadel konnten zusätzliche Verzierungen angebracht werden. Anschließend kolorierte man diesen Brief und beschriftete ihn mit formelhaften Versen.

Der Reiz dieser Faltschnitttechnik lag, so Sigrid Metken, vor allem in den Reihungseffekten und der makellosen Symmetrie.(3)

Für das Gebiet des Hunsrücks sind nur wenige Faltliebesbriefe bezeugt. Neben den vier Briefen im Hunsrückmuseum wurden in der vorliegenden Literatur lediglich zwei Liebesbriefe, sie stammen aus Berschweiler und Hintertiefenbach, erwähnt.(4)

Über die Liebesbriefe im Hunsrückmuseum liegen nur wenige Informationen vor. So sind beispielsweise die Künstler, die diese Briefe angefertigt haben, nicht bekannt. Es konnte auch nicht festgestellt werden, ob das Ziel der Briefe, die Auserwählte für immer an sich zu binden, erreicht wurde. Auf dreien der vier Faltliebesbriefe sind Hinweise auf die Sender, beziehungsweise die Empfängerin zu finden.

Abb. 1:
Brief an die ‚Anna Maria Wähnerin‘ aus dem Jahre 1759

Einer dieser Liebesgrüße galt der „Anna Maria Wähnerin“ aus „Kleinweydelbach“ und stammt aus dem Jahre 1759. (Abb. 1) Dieser Brief ist in Kreisform ausgeschnitten. Das Zentrum bildet ein Kreis, der mit einem gezackten Rand verziert und mit Blumen bemalt ist. Darauf folgen sechzehn numerierte Herzen, auf denen in Fraktur Liebesgrüße und Wünsche für das Wohlergehen der Auserwählten mit Tusche niedergeschrieben sind. Doch es wird erst aus dem Text ersichtlich, daß es sich bei der „Anna Maria Wähnerin“ um die Adressatin des Briefes handelte, denn der Brief war an eine Frau gerichtet. So ist im Herzen Nr. 3 zu lesen:

»Sie ist meines Herzens Paradeis von der ich wolle,
daß sie bleib gesund wie sie ist gewesen,
da ich sie mir hab auserlesen«

Die Hoffnung, die der Geber in die Wirkung seines Briefes setzte, drückt sich in einem Vers aus, der auch auf einem weiteren Liebesbrief des Hunsrück-Museums zu finden ist:

»fahr hin du kleines Brieffelein zu der Herzallerliebsten mein
Fahr nicht zu hoch fahr nicht zu nieder,
bring nür ein fröhlich bottschaft wider«

Weitere Treueschwüre und Wünsche für das Wohlergehen der Auserwählten schließen sich an:

»Gott fahr sie so lang gesund
bis zwei Pfauenfedern wiegen ein Pfund.
Ein Rosenblütlein ein Quintelein
und ein Mühlstein fliegt über den rhein,(5)
so lang soll sie meine Herzallerliebste sein.«

Der Liebesgruß für die Anna Maria Wähnerin stammt, wie bereits erwähnt, aus dem Jahre 1759 und zählt damit zu den ältesten nachgewiesenen Faltliebesbriefen. Bislang galten laut Forschungsliteratur Liebesbriefe aus der Schweiz, sie wurden um 1760 von einem Johannes Uhlmann angefertigt, als die ältesten bekannten Liebesbriefe in Faltschnittechnik.(6)

Der kreisrund ausgeschnittene Liebesgruß des „Johann Nicklaus Auller“ aus Wahlbach ist auf den 20. Januar 1809 datiert. (Abb. 2) Diese Angaben finden sich im Zentrum des Briefes, auf einem ausgeschnittenen Kreis niedergeschrieben. Der Brief ist mit Blatt- und Blumenornamenten durchbrochen, dominierend sind jedoch die numerierten Herzen, die als Schriftträger für die Liebeschwüre dienen. Voller Sehnsucht richtet sich der Sender an die Auserwählte:

»Ach Herz mein allerliebstes Herz
wie oft gedacht ich an euch mit Schmerz
Mein Herz hat euch aus er wählt
kein ander mir im Herzen gefällt«

Umrandet ist der Brief mit einem ähnlichen Vers, wie er auf dem Brief an die Anna Maria Wähnerin zu finden ist:

Abb. 2:
Liebesbrief des ‚Johann Nicklaus Auller‘ 1809

»Fahr hin du breuflein klein;
Grüß mir die Herzliebste mein;
fahr nicht zu hoch auch nicht zu nieder
bring mir ein frölich bottschaft wieder;
Nur traurig komm mir nicht zurück
sonst thu ich nach dir keinen Blück«

Wer die Empfängerin des Liebesgrußes war, wird aus dem Text nicht ersichtlich, doch in den Unterlagen des Standesamtes in Simmern fand sich der Vermerk, daß ein „Johann Nicolaus Auler Ackersmann geboren und wohnhaft zu Wahlbach alt sechsundzwanzig Jahr“ am achten April 1815 im Alter von 26 Jahren die Maria Catharina Müller, ebenfalls 26 Jahre alt, aus Holzbach geheiratet hat. Wenn nun der Brief seiner späteren Frau galt, so ist er sicherlich in einem früheren Stadium der Bekanntschaft übergeben worden, denn der Sender des Briefes war damals erst 19 Jahre alt. Jedoch ist es auch möglich, daß der Brief damals einem anderen Mädchen übergeben wurde und seine Wirkung verfehlte.

Abb. 3:
Besonders kunstvoll mit Engeln verzierter Brief

Auf einem anderen besonders kunstvoll verzierten Liebesbrief finden sich lediglich Initialen und der Ort Crastel als Hinweis auf den Geber oder die Empfängerin des Briefes. (Abb. 3)

Das Zentrum des Briefes bildet ein mit Bögen verzierter Kreis, der mit dem folgenden Vers beschrieben ist:

»Wann mei Herz in der mitte
Mit einem Schwerdt wird durchschnitte
Und mit einer Kugel durchschossen
So bleibt meine Liebe gegen sie ganz unverdrossen«

Der äußere Kreis ist mit Herzen, die als Schriftträger dienen und sehr fein ausgeschnittenen Ranken durchbrochen. Zwischen den acht Herzen sind nackte Engel dargestellt, deren Scham von einer blauroten Fahne bedeckt wird. Jeder dieser Engel hält ein beschriftetes Oval in der Hand. Aus dem Text geht hervor, daß diese acht Engel „zum Dienst“ der Auserwählten ausgesandt sind.

Abb. 4:
Völlig unbekannt sind Geber und Adressatin des vierten Liebesbriefes.

Der Umriss des Faltbriefes ist bogenförmig ausgeschnitten und mit durchbrochenen Girlanden verziert. Von Blumen und Schleifen umrankt, folgen acht Kreise, von denen sechs mit Versen beschriftet und zwei mit Figuren bemalt sind. Auf einem Kreis wird eine Frau dargestellt, die eine Haube trägt – das Zeichen für eine Frau, die verheiratet ist. In der Hand hält sie eine Blume. Ihr gegenüber im folgenden Kreis ist ein Mann aufgemalt, der eine Pfeife raucht und ebenfalls eine Blume hält. Dieses Paar versinnbildlicht vermutlich den Wunsch des Gebers, seine Auserwählte zu heiraten und immer mit ihr zusammenzubleiben. So geht es auch aus den Versen hervor:

»Mein einziger Trost auf erden,
bist du ja ganz und gar,
das ich dein möge werden,
das wünsche ich ganz und gar«

Das Zentrum des Briefes ist mit, durchbrochenen Kronen und beschrifteten Herzen verziert. Auf einem dieser Herzen steht ein Vers, der ebenfalls auf der Liebesgabe des Johann Nicklaus Auller zu finden ist:

»Ach Herz mein allerliebstes Herz,
wie oft gedenk ich an dich mit Schmerz«

In diesem Artikel konnte nur ein kleiner Überblick über die Faltliebesbriefe im Hunsrückmuseum gegeben werden, und es bleiben noch viele Fragen offen. So sind, wie bereits erwähnt, die Künstler, die diese Briefe angefertigt haben, nicht bekannt. Besonders bemerkenswert ist der Brief aus dem Jahre 1759, denn dessen Künstler konnte noch auf keinerlei Tradition zurückgreifen. Es bleibt aber auch die Frage, welche Funktion diese Briefe bei der Brautwerbung hatten. Denn betrachtet man Heiratssitten und Brautwerbung im Hunsrück, wie sie Walter Diener in seiner Hunsrücker Volkskunde beschrieben hat, so erscheinen Verse wie

»Ach Herz, mein allerliebstes herz,
wie oft denk ich an dich mit Schmerz;
das zeigt die große Liebe an,
das ich dich nicht verlassen kann«

doch recht ungewöhnlich. Denn bei der Auswahl der zukünftigen Frau war zu der damaligen Zeit weniger die gegenseitige innige Zuneigung ausschlaggebend, viel stärker achtete man damals auf die Vermögensverhältnisse des zukünftigen Partners: »Grund muß zu Grund! Acker zu Acker!« galt als Devise.(7) Deshalb wandten sich vor allem begüterte Bauern an die Freiersmänner, sie gab es in fast jedem Ort, um sie mit der Suche nach einer „passenden“ Braut zu beauftragen. Hatte sich nun ein Paar gefunden, so gingen die Liebeschwüre über ein »Eich honn dich geere« nicht hinaus.(8) Dem gegenüber standen die poetischen Liebesgaben, die sicher nicht nur in den vergangenen Jahrhunderten ein außerordentliches Zeugnis der Liebe darstellten; denn welche Frau unserer Zeit hat jemals einen ähnlich kunstvollen Liebesbrief erhalten?

(1) Vgl. hierzu und dem folgenden: Metken, Sigrid: Geschnittenes Papier: Eine Geschichte des Ausschneidens in Europa von 1500 bis heute. Milnehen 1978, S. 193-196.
(2) Vgl. ebd. S. 194.
(3) Vgl. ebd. S. 193.
(4) Vgl. Schwarz, Werner: Zwei alte Liebesbriefe. In: Heimatkalender des Landkreises Birkenfeld, 1978, S. 138f.
(5) Rhein
(6) Vgl. Rubi, Christian: Liebstes Herz ich bitte dich! Liebeszeichen und Verlobungsbräuche im Bernerland. Wabern 1969, S. 45.
(7) Vgl. Diener, Walter: Hunsrücker Volkskunde. Bonn 1925, S. 165.
(8) Vgl. ebd. S. 111.